Katjes Evergreen

Ich habe eine neue Bekanntschaft gemacht, aber eben so eine dieser Bekanntschaften, die man hat, weil sie schon wieder so krass konträr zu dir sind, dass es einfach unmöglich ist, sich nicht mit ihnen einzulassen. Und außerdem, weil du dir in den Gesprächen mit jenen Personen erst so richtig dessen bewusst wirst, dass die Art und Weise, wie du den Alltag bisher geschmissen hast, wirklich ganz in Ordnung ist und es tatsächlich noch viel umständlicher und labyrinthiger laufen kann, als du dachtest.

Meine neue Bekannte und ich trafen uns zum ersten Mal bei Kaufland in der Bioabteilung, wo sie aufmerksam die Produktnamen und ich noch viel mehr die dazugehörigen Produktpreise studierte.

Als wir uns nach 10 Minuten offenbar beide noch immer nicht für eine der 30 feilgebotenen Hummussorten entschieden hatten, lächelte sie mich von der Seite schief an und fragte:

„Geht es Ihnen auch immer so, dass Sie sich nie zwischen Zwergenstreich, Rapunzel und Hanf im Glück entscheiden können?“

„Diese Märchen haben mir meine Eltern früher leider nie vorgelesen“, sagte ich zuerst etwas perplex, bis mir dann klar wurde, dass die Frau nicht über mir noch unbekannte Märchen sondern pflanzliche Brotaufstrichnamen sprach.

Als ich dann ein Jesus-Kreuz um ihren Hals baumeln sah, überlegte ich kurz ernsthaft sie zu fragen, ob sie bereits die neueste Auflage von „Quinoas Arche“ gelesen hatte … verkniff es mir dann aber im letzten Moment doch lieber.

Da Auch ihr Blick nicht wenig verwirrt war, setzte ich dafür auflockernd nach mit einem:

„Na ja, die Leute aus Team Butterbrot brauchen da immer etwas mehr Zeit als eingefleischte Veganer“,

erntete als Reaktion darauf allerdings nur eine sich unangenehm verziehende auberginenfarbig nachgezogene Augenbraue. „Ah ja“, kam darauf nur kurz und dann noch ein: „Ja, na klar, es ist ja auch mittlerweile ein wirklich großes Feld geworden“, wobei sie wahrscheinlich von meinem „Ja, im wahrsten Sinne des Wortes“ erneut nicht ganz so überzeugt war wie ich selbst. 

Aber noch wollte ich meinen frisch geknüpften Veganer-Erstkontakt nicht aufgeben und wagte einen neugierigen Blick in ihren Einkaufswagen. Was sich mir dort offenbarte, hatte ich noch nie zuvor gesehen:

Es war das erste Mal, dass ich bei jedem Produktnamen zunächst ca. 20 Sekunden all meine Synapsen anstrengen musste, um dann eine halbwegs sichere Hypothese zu haben, um was es sich da eigentlich handelte. Zwischen problemlos identifizierbaren Zucchini, demeter-Süßkartoffeln, der nun auch für mich klar einzuordnenden Zwergenbande und Bio-Gewürzgurken tummelte sich nämlich ein wahres veganes Kuriositätenkabinett, das wirklich nichts zu wünschen übrig ließ: 

Erst auf den dritten Blick erkannte ich, dass es sich bei Bedda Blocks in Scheiben weder um eine neue Version Bibi Blocksberg, noch um Herzmedikamente sondern veganen Cheddar-Käse handelte. Direkt daneben vermochte ich eine Tüte mit der Aufschrift Käshew-Soße zu identifizieren und musste mir jetzt wirklich das Grinsen verkneifen.

Doch es ging noch weiter. Und zwar nochmal abgespaceter:

Neben Käptn Tofus Knusperstäbchen präsentierten sich stolz eine Sim SalaMi, die auf einer Box namens Hick-Hack-Hurra lag und mich eher an Benjamin Blümchen Geburtstagstorte erinnerte. Noch einen oben drauf setzte dann allerdings das Chikeriki-Geschnetzelte. „Wow“, dachte ich mir, „wenn man das mit Frikeriki für Frikassee machen würde, darf man kein r auslassen, sonst kanns voll peinlich werden“ und musste anfangen zu lachen.

Auch die daraufhin erspähte Vozzarella brachte mich nicht mehr dazu, den veganen Produkten ihren gebürtigen Respekt zu zollen, es wurde eher nur noch schlimmer … und jetzt auch noch politisch! Denn gleich als Nächstes stachen mir der NoBeenenstich, ein indisches Glasgericht namens Marie Curry und der Aufstrich Yes Pe Can ins Auge (also quasi wie Yes We Can nur jetzt mit Pe Can für Pekanüsse, voll genial oder?).

An Darm-Verstimmungs-Medikamente erinnert dazu eine Rolle Doppelveks, die sie eigentlich auch gleich vegane Vrinzenrolle hätten nennen können, und eine Packung Jack the Griller, was sich als Burger aus Jackfruit und Seitan herausstellte.

Da ich nach dieser Inspektion die stichelnden Blicke ihrerseits auf meinem fragenden Gesicht merkte und wusste, dass ich jetzt nichts mehr zu verlieren hatte, stellte ich noch eine weitere Frage:

“Und, wenn ihr Kind Ihnen mal so richtig auf den Veks geht, nennen sie es dann Ihren Seitansbraten?“

und noch bevor sie antworten konnte, schob ich eine zweite Frage nach, da mir noch mehr Packungen aufgefallen waren:

„Und ist es nicht aber ziemlich blasphemisch, als Veganerin an zuckerfreien Knabberhäschen zu mümmeln und Schweineohren zu knabbern?“

Wenn Blicke töten könnten, hätte ihrer in diesem Moment wahrscheinlich ein Vevapcici aus mir gemacht, denn sie sagte nur mit unterdrückter Stimme:

„Frau Leder, mein Name ist Katjes Evergreen, ich bin die Mutter ihrer Schülerin Lein-Ann und sie werden noch von mir hören!“